Die Kraft lobender Worte

„Das haben sie super gemacht!“, „Wieder ein Beispiel, dass sie sich nicht unterkriegen lassen“, „Tolle Idee von ihnen, ihnen fällt bestimmt noch mehr ein“, diese und ähnliche Kommentare sind Balsam für die Seele und ich sage sie daher häufig und mit voller Absicht meinen PatientInnen. Diese merken es vielleicht nicht mal bewusst, doch mit der Zeit entfalten diese kleinen Worte ihre ganze Macht. Denn es sind Sätze, die viele meiner PatientInnen viel zu selten gehört haben.

Als Therapeutin interessiere ich mich immer sehr für die Lebensgeschichten meiner PatientInnen. Wie jemand aufgewachsen ist sagt mir viel darüber, warum er oder sie so geworden ist und wie er oder sie mit kritischen Situationen umgeht. Überhäufig wird mir berichtet, dass mit Lob und Zuneigung sehr gespart wurde, dass ein Gefühl der Einsamkeit geherrscht hat oder dass es sogar abwertende und verletzende Worte im Umgang miteinander gab. Kein Wunder also, warum es vielen Menschen mit solch einer Geschichte schwer fällt, sich selbst zu loben und selbstfürsorglich zu begegnen. Wie soll man wissen, wie das geht, wenn es kein Modell gab, kein Beispiel durch die Eltern?

Umso wichtiger finde ich, dies in der Therapie nachzuholen. Therapie ist mehr als miteinander reden. Ich möchte meine PatientInnen stark machen fürs Leben und ich glaube an die Kraft lobender Worte. Es ist die Nahrung für die verletzten Gefühle der Kindheit. Und das Bedürfnis nach Lob, nach Anerkennung und Wertschätzung hört niemals auf! Indem ich ein Modell für Lob sein kann, lernen meine PatientInnen, diese Rolle zunehmend selbst einzunehmen. Gemeinsam üben wir, lobende Worte zu formulieren. Zum einen, indem ich es vormache. Zum anderen, indem ich meine PatientInnen aufforde, sich selbst lobend und anerkennend zu begegnen. Ich fische außerdem anerkennende Worte von anderen aus den Erlebnissen, die mir meine Patienten berichten, und betone sie nochmal. Auch bitte ich meine Patienten, sich bei ihren Freunden eine Rückmeldung über ihre Stärken und wertvollen Seiten zu holen. Mit der Zeit kommt so eine Sammlung an kraftvollen und positiven Sätzen zusammen, die in den Alltag integriert werden sollen. Manche PatientInnen nutzen dafür ein spezielles Tagebuch, in das sie die Sätze notieren und sie sich regelmäßig durchlesen. Manche sprechen sich eine Nachricht auf ihr Handy, die sie täglich hören. Wieder andere beschreiben Notizzettel und hängen diese gut sichtbar auf. Jeder darf seinen eigenen Weg finden, wichtig ist nur, es auch wirklich zu tun.

Wer sich selbst regelmäßig lobt und anerkennt, dem fällt es auch leichter, diese Wertschätzung anderen Menschen entgegen zu bringen. Und das wiederum bringt einem selbst große Freude. Probieren sie es gerne aus: loben sie täglich 3 Menschen. Z.B. den Postboten, der Ihnen das Paket an die Tür bringt, die Erzieherin oder Lehrerin, die ihr Kind täglich betreut oder ihren Partner, der ihnen in einer kleinen Sache geholfen hat. Es gibt Unzählige dieser Situationen, die im Alltag leider viel zu oft unkommentiert untergehen. Und besonders unsere Kinder haben das Recht, täglich gelobt zu werden. Wir alle können dazu beitragen, diese Welt zu einem schöneren Ort zu machen, in dem wir offen und neugierig auf den anderen zugehen und ihr bzw. ihm mitteilen, was wir an ihr bzw. ihm toll finden. Viel Spaß dabei! Ihre Claudia Jessen


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